t e x t | T I P S T A D T M A G A Z I N Fast jede Woche finden in Berlin unangemeldete Fahrradrennen statt. Im Schutz der Dunkelheit messen die Kurierfahrer bei sogenannten alleycats ihre Kräfte. Dann geht es nicht nur um den Sieg, sondern auch um das schöne Gefühl, eine verschworene Gemeinschaft zu sein. | Meine Leitungen: Recherche, text
Für eine Subkultur, die eher im Verborgenen bleiben will, ist in diesem Augenblick selbst die dunkelste Ecke der Stadt nicht dunkel genug.
Es ist Mittwoch, ein kalter Abend in der Nähe des ICC, als sich in der Dunkelheit zwei blinkende Gestalten nähern. „Zwo-45 und Triple-6, macht eure Lampen aus“ ruft ihnen jemand aus der Gruppe entgegen, die sich im Schatten einer riesigen Skulptur versteckt. „Wir wollen doch niemanden auf uns aufmerksam machen!“ Für eine Subkultur, die eher im Verborgenen bleiben will, ist in diesem Augenblick selbst die dunkelste Ecke der Stadt nicht dunkel genug. Keiner will, dass die Polizei jetzt noch alles zerstört. Schließlich soll das Rennen in ein paar Minuten starten.
Im Schutz der Nacht fast unbemerkt treffen sich Berliner Fahrradkuriere fast jede Woche zu abenteuerlichen Straßenrennen. Im laufenden Verkehr rasen sie durch die Stadt, Zuschauer, Wegweiser oder gar Straßensperrungen gibt es nicht. „Alleycats“ (engl. streunende Katzen), wie die Rennen in der Szene genannt werden, sind natürlich nicht offiziell angemeldet. Überhaupt wäre nicht klar, welche Straßen gesperrt werden sollten, denn jeder Starter fährt eine andere Route – genau wie im Kurieralltag. In einer Art Schnitzeljagd passieren sie mehrere „Checkpoints“ und müssen dort exotische Aufgaben lösen, wie vorbeilaufende Passanten zum Salsa-Tanzen überreden, stilvoll einen Bikini überziehen oder Berliner Ecken der 20er-Jahren erkennen – jede falsche Antwort wird mit einem Schnaps bestraft!
Heute Abend ist Halloween und am Treffpunkt im Berliner Westen sieht es noch lange nicht nach Aufbruch aus. Im Gegenteil: Ein junger Fahrer, tiefschwarzer Vollbart, roter Helm, baut im schwachen Licht seines Handydisplays einen Joint. Bierflaschen klirren, irgendwo öffnet jemand einen Sekt – von Wettkampfvorbereitung keine Spur. Die Situation erinnert eher an eine junge Touristenmeute, kurz vor dem Start in die Berliner Party-Rushhour. „Triple-6“, den man an seiner rosa-neonblauen Mütze auch im Dunkeln erkennt, klärt auf: „Man darf nicht vergessen, dass ein Alleycat einfach eine schöne Art ist, den Feierabend miteinander zu verbringen.“ Das Gesellige davor und danach sei ein ebenso wichtiger Teil der Kultur, wie das Rennen selbst. „Trotzdem“ entgegnet „Zorro“, der schon seit 28 Jahren als Fahrradkurier arbeitet, „für mich ist es immer auch das Kribbeln, herauszufinden, wer von uns der Beste ist.“
Read More