Richard Mosse

16/09/2013
B L O G | T e x t     Mein Besuch der 55. La Biennale di Venezia wirkt noch Tage später nach. Der Versuch zu erklären, warum mich die Infrarotfilm-Aufnahmen von Richard Mosse so bewegen.

In meinem Kopf ist alles Pink. Ein psychedelisches Rauschen, kurz vor dem Bahnhof von Altglienicke. Ich komme zurück von der Biennale in Venedig, sitze in der fast leeren S-Bahn, die umständlich vom Flughafen Schönefeld in Richtung Berliner Innenstadt zuckelt. Alles ist grau. Nur in meinem Kopf nicht.

Da sind diese Bilder, immer wieder: Eine Kamera schwebt durch wundersame Landschaften – Berge, Wälder und Felder sind zu sehen, doch alle Grüntöne strahlen in Magenta. Auch die Uniformen der dunkelhäutigen Soldaten. Junge Soldaten mit riesenhaften Gewehren, die den Regenwald durchkämen. Dazu eine Soundsphäre, die mit dem Erwartbarem bricht. Ich sehe einen See, bläulich schimmernd, ich sehe Wellen – und höre nur ein Zischen.

Die Eindrücke habe ich aus dem irischen Pavillon der Biennale mitgebracht. Der Fotograf Richard Mosse ist für seine Installation „The Enclave“ zwei Jahre lang immer wieder in den östlichen Kongo gereist und hat dort mit einer Infrarotkamera, der Kodak Aerochrome, das Treiben von verschiedenen Rebellengruppen dokumentiert. Bereits im letzten Jahr stellte der Künstler Fotografien, die er im Zuge der zahlreichen Reisen nach Afrika gemacht hatte, im Berliner Künstlerhaus Bethanien aus („Infra“).

„Diese Idee, das Unsichtbare sichtbar zu machen, hat mich fasziniert. Ich nutze diesen Film, um den unsichtbaren Konflikt, die vergessene Katastrophe sichtbar zu machen. Außerdem ist die Farbpalette dieses Films äußerst überraschend, sehr kitschig. Die Leute haben Krieg noch nie so gesehen. Also, so hoffe ich, schauen sie zweimal hin.“

Richard Mosse *

Richard Mosse hat viele Menschen mit seinen Aufnahmen schockiert. Eben deshalb wird der irische Pavillon, der nicht im geschlossenen Biennale-Garten, dem Giardini, sondern mitten in der Stadt zu finden ist, von vielen Besuchern als Favorit genannt. Aus dem Schock ist bei mir einige Tage später Schwermut geworden. Und Neugier: Durch „The Enclave“ habe ich mir den Konflikt im Kongo überhaupt erst vergegenwärtigt. Wo liegt das eigentlich genau? Wer kämpft da gegen wen? Nach Angaben des International Rescue Committee sind in Ostkongo seit Beginn des Bürgerkriegs 1998 5,4 Millionen Menschen gestorben, diese Zahl nennt Mosse selbst in dem unten verlinkten Interview. Im Human Development Index der Vereinten Nationen nahm die Demokratische Republik Kongo im Jahr 2012 den letzten (186.) Platz ein.

Mosse zeigt die Alltäglichkeit des Grauens. Man sieht Rebellen, die patroullieren, einen Einsatz simulieren, einfach nur warten. Man sieht Dorfbewohner, die nach einem Massaker auf dem Boden liegende Leichen begutachten. Und dann gibt es da diese Szene, in der die Kamera (aufgrund einer Steadycam-Vorrichtung) wie auf Schienen in ein Rebellenlager gleitet. Vorbei an apathischen Menschenmassen, die von der Kamera geradezu hypnotisiert wirken. Gemeinsam mit der Kamera dringt der Zuschauer in den Kern dieser wuchernden Zelt-Siedlung ein, unaufhaltsam immer weiter, angeführt von rennenden, stolpernden, schubsenden Kindern. Irgendwann bleibt die Kamera bei einem Vater stehen, der sein Neugeborenes vor der Brust hält. Er schaut dem Betrachter direkt ins Auge, drückt das Kind noch enger an seine Brust – für eine Ewigkeit. Ein grandioser Moment.

Nur einer von vielen.

Richard Mosse zu seiner filmischen Herangehensweise: „Egal wo ich im Ostkongo hingekommen bin, die Linse schien die Menschen zu hypnotisieren, ob es jetzt bewaffnete Gruppen waren, deren Anführer vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte gesucht wurden, oder ihre zivilen Opfer, krank und ausgehungert von einem Leben auf der Flucht vor dem Konflikt. Statt diesem Effekt der Kamera entgegen zu wirken, nutze ich ihn aktiv, das war einer der interessantesten Aspekte an der Arbeit im Kongo.“ (aus einem Interview auf Blouin Artinfo)

Twitter Richard Mosse

Die Biennale in Venedig läuft noch bis zum 24. November 2013. Allein der Besuch des irischen Pavillons ist die Reise wert. Auch das letzte Stück – in der S-Bahn.

* Richard Mosse im Interview mit dem Monopol Magazin.