Bezahlen mit einem Tweet
„Ich will alles, und zwar kostenlos“ ist eine weit verbreitete Attitüde im Netz, auch bei mir. Warum sollte man für Online-Inhalte bezahlen, wenn das kostenfreie Konkurrenzangebot nur einen Mausklick entfernt liegt? Zumal im Zuge der Digitalisierung nicht nur die Menge an Inhalten explodiert ist, sondern deren Wert gleichzeitig signifikant abnimmt. Denn im Internet kann wirklich jeder ohne technisches Wissen seine Meinung veröffentlichen. Investieren muss man dafür nichts – außer seine Zeit. Inhalte, vor allem auf Blogs, entstehen deshalb zu einem Großteil ohne die Absicht, damit Geld zu verdienen. Nur eines wollen sicherlich alle: wahrgenommen werden.
Im Internet hat Geld als Verkehrswährung für Inhalte eigentlich noch nie eine bedeutende Rolle gespielt. Die Entmaterialisierung des Wirtschaftprozesses nimmt hier unübersehbar seinen Lauf. Gute Inhalte werden von denen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, in anderer Form belohnt: Gefällt uns ein Artikel, dann verlinken wir ihn in unserem Blog, posten ihn in unserem Facebook-Profil oder empfehlen ihn unseren Followern bei Twitter. Wir lenken also die Aufmerksamkeit unseres Netzwerks auf den Artikel – und bezahlen auf diese Weise dafür. Denn angesichts der digitalen „Informationsflut“ ist unsere Aufmerksamkeit zu einer knappen Ressource geworden, zum wichtigsten Gut überhaupt: „Die Aufmerksamkeit rationiert die Möglichkeiten des Erlebens, wie das Geld die materiellen Möglichkeiten der Lebensführung rationiert“, summiert Georg Franck, einer der Väter der Aufmerksamkeitsökonomie. Seine in Wissenschaftskreisen kontrovers diskutierte These: Gerade im Medienbereich besitzt die Aufmerksamkeit als ökonomische Kategorie eine universellere Bedeutung als Geld.
Gesteuert wird die Aufmerksamkeit im Internet durch Links. Google und andere Suchmaschinen bewerten eine Webseite zuvorderst auf Grundlage ihrer Linkpopularität, d.h. oft verlinkte Seiten erscheinen in den Suchergebnissen weiter vorne. Deshalb erfährt eine Webseite mit vielen Links grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit als andere. Längst haben Links neben der technischen also auch eine wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Nicht nur deshalb erhebt sie der US-amerikanische Professor Jeff Jarvis in den Rang einer neuen „Währung des Internets“ und entwirft auf dieser Grundlage das Konzept der Linkökonomie. Eine Webseite ohne Verlinkungen, so die Schlussfolgerungen von Jarvis, hat letztlich überhaupt keinen Wert, einfach weil sie von Google nicht gefunden und damit im Internet nicht sichtbar wird.
Die Idee von Jeff Jarvis hat seinen Reiz: Würde man die Aufmerksamkeit des Internetusers tatsächlich in Links abrechnen, würde diese plötzlich messbar – wie eine wirkliche Währung.
Einen Schritt weiter geht nun das Modell Pay with a tweet, dass in der August-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins vorgestellt wird. Der digitale Verweis steuert nicht mehr nur die Aufmerksamkeit der User, sondern verwandelt sich in ein veritables Zahlungsmittel.
„Pay with a tweet“ folgt einem einfachen Prinzip: Ein digital vorliegendes Gut, im hier dargestellten Fall ein Marketing-Ratgeber, wird, statt mit Geld, per Empfehlung bezahlt. Wer sich also das Buch aus dem Netz herunterladen will, muss seine Freunde vorher per Twitter oder Facebook darüber informieren. „Forced Viral“ nennt sich diese Idee, erzwungenes virales Marketing. Die Erfinder Christian Behrendt und Leif Abraham, zwei in New York City lebende Deutsche, brachten mithilfe eines befreundeten Programmierers auch gleich eine App an den Start, die „Pay with a tweet“ jedermann zugänglich macht. Natürlich, wie sollte es anders sein – kostenlos. So ist es in Zukunft denkbar, dass eine Tageszeitung Kurz-Abos gegen Facebookposts und Twittertweets anbietet, in der Hoffnung, dass überzeugte Neuleser danach ein vollfertiges Abonnement abschliessen.
Ein Produkt mit einer digitalen Empfehlung bezahlen, egal ob per Tweet, Post oder Link – die Chancen für einen solchen Ansatz scheinen durchaus verheißungsvoll. Denn der Zeitgeist sitzt mit im Boot: Im Netz bleibt alles gratis.
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